Um architektonisch nicht allzusehr in die Landschaft einzugreifen wurde das
Besucherzentrum in den Fels hineingebaut, wie Birkenaugen schaut es aus ihm
heraus, daneben ein großer Parkplatz und die Eintrittkasse an einem vorgelagerten Häuschen,
um den Fels frei zu halten von herumstehenden Warteschlangen.
Bis vor zehn Jahren gab es lediglich das Besucherzentrum, das sich zwar oben auf
den Klippen befindet, von dem man jedoch die Klippen selbst nicht sieht. Doch dann
kam Pat Sweeney auf die Idee, den »astonishing view«, die wirkliche Sicht auf die
Klippen, zugänglich zu machen. Ein Cliff Walk sollte nördlich und südlich des
Besucherzentrums angelegt werden, an den fesselnden Perspektiven der Küste entlang.
Die Iren sind gut darin, ihr kulturelles Erbe zu erhalten und zu kultivieren. Eine Ruine an der Landstraße, ein Ringfort, ein Turm, ein stehender Stein, ein Grab
wird umzäunt, am Eintritt verdient. Der Wild Atlantik Way schlängelt sich
zwölfhundert Kilometer entlang der Atlanktikküste, macht entlegene und historische Orte zugänglich, führt durch das kulturelle und geografische Erbe des Landes. So führt er auch an den Cliffs of Moher vorbei, wo es täglich hunderte, manchmal tausende Menschen hinzieht. Vor Jahren noch hielten hier Tourbusse, spuckten Leute aus und sogen sie
eine Stunde später wieder ein, um zum nächsten Place of Interest zu fahren. Das
änderte sich jedoch mit Pat Sweeney, der 2008 seine Nachbarn und die regionale
Regierung überzeugte, dass die Umgebung einen Wanderpfad benötige, einen Cliff
Walk, entlang den Cliffs of Moher. Die Touristen sollten nicht nur eine Stunde im
Besucherzentrum verbringen, sondern eine Tagestour an den Klippen entlang machen können,
um dann schön hungrig in den Restaurants anzukommen und zu essen, in den Pubs zu trinken und in
den B&Bs zu übernachten. Er überzeugte seine Nachbarn, denen die anderen Felder
entlang der Küste gehörten und begann die Weidezäune ein paar Meter ins
Landesinnere zu versetzen und einen zweiten Draht, außen, ohne Elektrik, zu
befestigen, an dem sich die Wandertouristen festhalten konnten, wenn der Wind
stark, der Regen einmal rau sein sollte. Vorn und hinten Lichtschranken, die
durchgehende Personen zählen. Und wo Spalten und Flüsse
den Weg durchkreuzten, legten sie mithilfe von Bagger, Trailer und Muskelkraft
Felsbrücken, so wie ihre Landsleute vor hunderten von Jahren schon Mauern und Brücken
aus Steinen bauten, nur ohne Bagger und ohne Traktor. So wie Pat Sweeney das
Wissen seiner Ahnen nutzt, um die Wanderroute zu konstruieren, so versucht er nun
neue, moderne Methoden zu etablieren, die seine Kinder einmal erlernen und ihnen
nutzen sollen. Eine mittlerweile verbreitete Kulturtechnik, die aus der Tradition
des Storytellings hervorging, ist das Tourguiding. Täglich, 10 Uhr, startet
Pat vor dem Pub im Doolin, führt seine Besucher den Cliff Walk entlang bis zum Besucherzentrum
und erzählt von den Klippen, der Geologie des Bodens, dem Leben als Farmer, den
nistenden Pinguinen und seinem Nachbarn, der immer skeptisch war, doch seit
neuestem den Café-Anhänger am Ende des Trails auf seinem Feld stehen hat und
sowohl den ankommenden Wanderern Eis und Kaffee verkauft, sowie auch denjenigen, die es
vom Parkplatz hinaufgeschafft haben.
Pat Sweeney betont, er wolle den jungen Menschen, seinen Kindern und den Kindern
der Nachbarn, eine Perspektive in der Region geben. Während in den letzten Jahren
den jungen Leuten nach der High School nichts anderes übrig blieb, als in die
großen Städte zu ziehen, um auf dem College zu studieren, möchte Pat den in weiten
Teilen des Landes noch wenig entwickelten Zweig der touristischen Kultivierung
ausbauen, damit die jungen Leute auch auf dem Land wieder eine wirtschaftliche Grundlage haben,
auf die sie bauen können.
Qualitäten, verborgene Schätze die das Land bietet, müssen erschlossen,
zugänglich gemacht und genutzt werden. Pat Sweeney setzt sich dafür ein, dass in
einer Zeit, in der günstige Flüge, Busse und Bahn das Land mit Reisefreudigen
versorgt, eben auch in den entlegensten Gegenden eine Infrastruktur angelegt wird,
die die angereisten Leute ein paar Tage hält und an Tourbussen verdienen nur die reichen
Hotels und die staatlichen Besucherzentren. Doch was Pat vorhat, was einige an der
Atlantikküste vorhaben, ist das Land zu gestalten, die Angereisten in ein
Geflecht aus Wanderpfaden zu schleusen, das sie mehrere Tage gefangen hält. Und zwar nicht aufgrund mangelnder Beschilderung, nein, denn Pfeile
und Markierungen gibt es in regelmäßigen Abständen genug. Nein, denn geschickt führen die Pfade an
fesselnden Perspektiven vorbei, die Wanderreisende festhalten und zu weiteren, noch
tiefer ins Land hineinreichenden Routen inspirieren. Wie ein Schwamm saugt die
Landschaft die Wandertouristen auf und gibt sie erst wieder frei, wenn Proviant
und Wasser schwindet. Und was tun Leute, die den ganzen Tag über steinige Wege,
sumpfige Pfade gewandert sind, fragt Pat Sweeney auffordernd in die Runde? Hungrig
gehen sie in die Restaurants, essen Fischburger und Chips, trinken Guinness und
frühstücken morgens im B&B. Dann haben alle etwas davon: Fischer, Farmer,
Pubs und die Mütter und Väter, die Zimmer vermieten und Frühstück richten. So
verdienen die Menschen im Dorf plötzlich ein vielfaches mehr, als was sie mit der
traditionellen Bewirtschaftung der Weiden durch Bullenzucht, Milchvieh und
Wollwirtschaft herausholen konnten; durch das bloße Verschieben der Weidezäune,
ein bis zwei Meter ins Landesinnere hinein und einen zusätzlichen Draht, außen, ohne
Spannung, zum Festhalten bei rauer Witterung.
Und wem gehören eigentlich die Klippen?, frage ich Pat, der sich gerade wieder über die Klippenkante gelehnt hatte, um wagemutig auf Details des Klippengesteins hinzuweisen; es sei nicht leicht, den Schiefer vom verwitterten Kalkstein zu unterscheiden, wenn die Schichten fein und waagerecht übereinandern gelagert sind. Die Erdgeschichte, wie man es hier sehen kann, dreihundertfünfzig Millionen Jahre Sedimentschichtung hebt sich aus dem Meer heraus, wird sichtbar, zeigt was unter unseren Füßen lagert, Boden auf dem wir gehen. Kalkstein, Schiefer, Schluff, Sandstein, hier sei alles da, vierhundert Meter Profil, alles sichtbar. Und das sei eben das, wofür sich die Farmer im Dorf eingesetzt hätten, die Geschichte, die dieser Ort bietet, im Profil zu sehen, von der Seite aus zugänglich zu machen. Das Besucherzentrum sei auch gut. Dort gäbe es Diagramme und Animationen zur Verschiebung der Kontinente seit dem Jura und zu den klimatischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Gesteinsschichten im Laufe der Erdgeschichte, doch betont Pat, der “astonishing view”, das, was die Leute wirklich berührt, sei der Anstieg von der Seite, der Blick auf die immer höher werdenden Profile, die atemberaubende Klippenspitze, auf der Pat nun steht und vierhundertfünfzig Meter nach unten deutet. Fast neunzig Grad, kommt selten vor. Land, das orthogonal in der Umgebung steht, ein sogenannter Geländesprung zwischen Meer und Festland, nicht begehbar und landwirtschaftlich nicht nutzbar. Aber atemberaubend, wenn sich der Blick von oben nach unten das Klippenprofil hinunter- und anderswo wieder hinauftastet. Hier wird der »astonishing view« erschlossen und für den Wandertourismus zugänglich gemacht. Und Pat, Vorreiter auf diesem Gebiet, erzählt jede Menge, wie es dazu kam und wohin es gehen wird. Letztes Jahr hätten achttausend Leute die Klippen von der Seite aus gesehen und es werden jährlich mehr. Die Lichtschranken haben sie gezählt. Mithilfe dieser Zahlen versucht Pat dann im nächsten Jahr wieder eine Förderung zu bekommen, um die restlichen zwei Kilometer Pfad zu bauen, die noch fehlten, um den angelegten Teil des Weges mit dem Besucherzentrum an der höchsten Stelle der Klippen zu verbinden, da wo sich gerade ein amerikanischer Tourist auf einem Felsvorsprung fotografieren lässt. Das ist offiziell durch ein Warnschild untersagt. Pat bittet um Vorsicht, bleiben Sie bitte am Weg, auch wenn es verlockend ist, sich an die Klippenkante zu legen und hinunter an den Brandungsknick zu blicken. In diesen Lagen, man wisse nie, wo die Erosion ihre Spalten verstecke.
Wem gehören die Klippen, das Land, das ins Wasser ragt, die Felsen im Meer? – Pat,
dem selber Farmland an der Küste gehört, nickt und antwortet prompt: Low water
mark. Steht im Grundbuch. Das, was man bei Niedrigwasser sieht, was auf den Seekarten eingezeichnet ist, das gehört dem
Landeigentümer.
Also etwa das, was bei ruhigem Gewässer zu sehen ist. Der große Fels, ein Stück weiter,
der aus dem Meer heraus ragt, sei öffentliches Land, auf dem theoretisch alle
Schafe grasen dürften, würde man eine Fährverbindung einrichten, um dies zu ermöglichen. Tut man hier aber
nicht, denn auf dem Festland wächst das Gras zügig, gut und proteinreich.
Er deutet hinunter auf den Klippenfuß, da wo die Brandung gegen den Fels schäumt,
schaut der Brandung zu, wie sie eine Höhle aus dem Gestein wäscht, hält kurz inne. Zwar
hätten sich ihre Ahnen um eine gerechte Aufteilung der Felder bemüht, doch das
Schicksal bliebe: «Das Land schrumpft.« Jedes Jahr nach dem Winter gingen die
Farmer auf die Weiden, um nach den Zäunen zu sehen. Da hingen dann Pfähle in der Luft,
wo ein Stück Boden die Klippen hinunter ins Meer rutschte, nachdem das Eis den
Felsen aufgesprengt hatte. Dann müssten alle Pfähle herausgenommen werden und ein
Stück weiter ins Innere des Landes geschlagen, neu verdrahtet werden. Oft sieht
man an den Feldern den neuen Zaun vor dem alten, dann stehen die morschen Pfähle,
in viele Richtungen zeigend, mit einem rostigen Draht vor dem neuen,
waagrechten, silberfarbenen, blanken und gespannten Draht. Zuletzt kommt die Batteriespannung. Seit der Elektrifizierung der Weidezäune kommen
vierundzwanzig Volt auf den Draht, tötet das Vieh nicht, merkt es sich aber. Pat,
der sich auf Bullenzucht spezialisiert und vorhin sämtliche Zuchtrassen aufgezählt
hat, spricht von den Schlägen, die das Bullenkalb erlebt und sich ein Leben lang
merkt, nachdem es einmal, als es klein war, versuchte, das bessere, grünere,
frischere Gras vom Wegrand zu grasen, »Zack«, spürt es vierundzwanzig Volt im
Nacken und merkt es sich. Doch das sei unproblematisch, wisse jedes Kalb, denn das
Gras wachse schnell und wenn erstmal die Frühjahrssonne käme, dann wachse das Gras
noch schneller. Dann gibt es Gras genug und noch mehr als Kühe und Schafe
abgrasen, dann bleibt sogar noch was für die Silage. Das weiß auch Jim der
Schnitter, der gerade dabei ist, das Weidegras zu mähen, das noch heute Nachmittag gewendet, aufgehäuft und zu Ballen gewickelt wird. Das müsse noch heute Abend in die Scheune, erklärt Pat, sei Vorrat für den Winter.